Der Kern der ARD war einmal ihre Unabhängigkeit. Die hat sie aufgegeben. Und damit ihre Existenzberechtigung aufs Spiel gesetzt.

Thomas Moser

freier Hörfunk-Mitarbeiter verschiedener ARD-Anstalten

Ich bin ausgebildeter Redakteur und arbeite seit 1989 als freier Mitarbeiter für mehrere ARD-Anstalten im Bereich Hörfunk. Das Betriebsklima in diesem öffentlich-rechtlich verfassten Medium empfand ich von Anfang an als sehr angenehm, kollegial und vor allem auch inhaltlich fruchtbar. Man konnte auf eine Weise Themen journalistisch bearbeiten, wie ich es in privat-rechtlich verfassten Medien (Zeitungen) bisher nicht kannte. (Erst in den Alternativmedien dieser Zeiten erlebe ich diese Freiheit wieder.) Berichte und Kommentare zu Regierungen, Parteien, Amtsträgern, Wirtschaftsbossen, Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz, DDR-Stasi, oppositionellem Verhalten, Bürgerbewegungen und so weiter. Der Kern der ARD war ihre Unabhängigkeit. Sie ermöglichte schonungslose und wahrhaftige Recherchen und Berichte.

Dennoch erlebte ich intern immer wieder Konflikte und Einmischungsversuche in die Berichterstattung von oben aus der ARD-Hierarchie heraus. So zum Beispiel beim ersten Irak-Krieg 1991. Ich arbeitete damals im WDR in Köln. Weil es viele kritische Berichte zu diesem Krieg gab, erinnere ich mich, dass Chefredaktion und Intendanz darauf Einfluss zu nehmen versuchten, indem sie vor einer „Emotionalisierung“ warnten. (Also das Gegenteil der aktuellen Kriegshaltung, bei der mit moralischer Empörung Kriege unterstützt werden.) Letztendlich blieb es bei einem eher ohnmächtigen Versuch; die WDR-Oberen konnten keinen nachhaltigen Einfluss durchsetzen. Der Grund lag im intakten Redaktionsprinzip des Senders. Die Redaktionen entschieden autonom über ihre Berichte. Diese Redaktionen waren durchaus unterschiedlich ausgerichtet, was auch dem inneren Pluralismus der ARD entsprach. Aber sie waren eben in ihrer Arbeit frei. Weil das Redaktionsprinzip allen Redaktionen ihre innere Freiheit gab, wurde es auch von allen getragen.

Mit Corona erlebte dieses ARD-System einen Bruch: Aus Einzelfällen der Einflussnahme wurde eine flächendeckende Allgemeingültigkeit, ein neues System. Die innere Redaktionsfreiheit und der Pluralismus wurden abgeschafft. Es hatte den Eindruck, als sei von oben eine Linie ausgegeben, an die sich jeder und alle zu halten hatten. In einer ARD-Anstalt hieß es sinngemäß: „Die Corona-Maßnahmen werden nicht angezweifelt.“ Abweichler wurden abqualifiziert und abgestraft. Es handelte sich aber nicht um eine journalistische Linie, sondern um eine politische. Journalismus, wie er bis dahin in der ARD gepflegt wurde, störte dabei nur. Das unabhängige Medium ARD verwandelte sich in ein angepasstes Propagandainstrument der Corona-Exekutive. Recherchen oder ein Hinterfragen der Corona-Politik gab es nicht mehr. Keine journalistischen Standards mehr, wie Sorgfalt, Gleichheit oder Wahrhaftigkeit. Anstelle der Unabhängigkeit machte man sich zur Partei. Mit Beginn des Russland-Ukraine-Krieges wurde diese Haltung nahtlos auf die Kriegspolitik Deutschlands übertragen.

Was bis heute verwundert, ist, wie schnell das ging, und wie reibungslos dieser Systemwechsel vollzogen wurde. Es wirkt gerade so, als haben manche ARD-Funktionsträger nur darauf gewartet. Es kam ihnen entgegen. Angesichts der verantwortungslosen Selbstbedienungskultur in der Führungsspitze des RBB könnte man auch sagen, Corona hat offengelegt, was sich in den öffentlich-rechtlichen Medien in den letzten Jahrzehnten an Unkultur entwickelt hat.

Sich zur Partei einer Corona- oder Kriegspolitik zu machen, führt zu einer verhängnisvollen Tendenz: alles Kritische, Abweichende und Gegensätzliche muss abqualifiziert und ausgegrenzt werden. Und zwar auf Kosten der Wahrheit.

Bei einer Corona-Demonstration in einer Kleinstadt bei Heilbronn hat ein SWR-Reporterteam eine Teilnehmerin nach Waffen gefragt. Ich stand daneben und habe es gehört. Die Frau antwortete wörtlich: „Da distanziere ich mich. Wir laufen in Frieden.“ In dem Fernsehbeitrag unter dem geframten Titel „Reichsbürger und Querdenker“ wird die Situation verfälscht. Die Frage des SWR-Kollegen nach Waffen wird weggelassen. Stattdessen wird der Eindruck erweckt, die Demoteilnehmerin habe auf eine Frage nach Reichsbürgern geantwortet. Sie sei die einzige gewesen, heißt es obendrein, die sich von den Reichsbürgern distanziert habe. Was wir hier vor uns haben, ist dramatisch und sollte für die künftige Journalistenausbildung unbedingt konserviert werden: Es ist die bewusste (Ver-)Fälschung einer Situation und eines Sachverhaltes. Es ist Anti-Journalismus, nicht Information, sondern Desinformation.

Von einer anderen Corona-Demo in Reutlingen berichtete ein SWR-Team in einer Live-Schalte. Ein Demonstrant stellte sich zunächst hinter den Korrespondenten und störte ihn verbal, ehe ihn ein Sicherheitsmann wegschob. In einiger Entfernung waren ebenfalls „Lügenpresse“-Rufe zu hören, doch die SWR-Kollegen konnten ihren Bericht relativ ruhig übermitteln. Ich stand dabei und war Zeuge. Hinterher schrieb der Sender auf seiner Webseite, das Kamerateam sei von Demonstranten „umringt“ worden. Genau das stimmte aber nicht. Der Sender hat ein solches Bedrohungsszenario einfach erfunden.

Wenn anstelle von Unabhängigkeit nun als Bürgerpflicht gilt, sich als Sprachrohr der Regierenden zu verstehen, setzen die öffentlich-rechtlichen Sender ihre Existenzberechtigung selber aufs Spiel. Die Abschaffung der ARD steht seit langem auf der Agenda des kapitalistischen Rollbacks in Deutschland und wird von einflussreichen Politikern immer wieder mal gefordert. Dafür braucht es weder AfD noch Reichsbürger.

Doch in den Sendern ist man blind geworden für die tatsächlichen Gefahren und Folgen des eigenen Tuns. Bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Tübingen über Corona und die Corona-Berichterstattung in den Medien beklagte eine Verantwortliche des SWR, dass das Publikum den Medien nicht mehr verzeihe, wenn sie Fehler machten. „Wir sind weg von einem menschlich verzeihenden Umgang miteinander“, sagte sie. Ihr fiel nicht auf, dass man das gerade für den umgekehrten Fall sagen kann: Sowohl Politik als auch Medien verzeihen bis heute denen nicht, die gegen die Corona-Maßnahmen opponierten, und sprechen weiterhin abfällig von Corona-Leugnern oder Querdenkern. Die SWR-Redakteurin merkte nicht einmal, dass die von ihr kritisierte Unversöhnlichkeit im eigenen Haus praktiziert wird. Wie im Fall von Ole Skambraks, der rausgeschmissen wurde, weil er den Umgang des SWR mit Corona öffentlich kritisiert hatte. Wenn die Kollegin ihr Bedauern ernst meinte, müsste sie für eine Wiederbeschäftigung ihres Kollegen Skambraks eintreten. Sowie dafür, widersprechende Meinungen äußern zu können, auch im Programm.

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