Tauchen bei meinen journalistischen Kollegen diese Fragen nicht auf?

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Westdeutscher Rundfunk (WDR)

Ich war stolz darauf, im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu arbeiten und damit Teil der „Vierten Säule der Demokratie“ zu sein. Durch meine Arbeit bin ich in all den Jahren verschiedensten Themengebieten und Ereignissen begegnet. Ich erlebte, wie man früher den Politikern und Politikerinnen sowie den Handelnden der Wirtschaft auf die Finger schaute, wie man immer wieder Brisantes aufdeckte und dieses den Menschen mitteilte. Immer dann, wenn es darum ging, dass Mächtigere versuchten, den normalen Bürgern etwas als gut zu verkaufen, was nicht gut für diese war, hatte ich den Eindruck, dass Journalisten da waren, um aufzuklären. Ich war bei all dem, was da aufgedeckt wurde, hoffnungsvoll, dass zum Beispiel Politiker da sein werden, die ein Gewissen haben und korrupten wirtschaftlichen Machenschaften nicht zustimmen werden. Und wenn dem nicht so wäre, dass dann die öffentlich-rechtlichen Medien dafür sorgen, dass genau das ans Licht kommt. Als vor ein paar Jahren nach und nach Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk laut wurde, habe ich meinen Mitmenschen erzählt, wie wichtig ich das Konzept eines unabhängigen Rundfunks finde.

Doch im Laufe der Zeit stellten sich mir Fragen, auf die ich keine Antwort fand und auf die mir keiner Antwort gab. Zum Beispiel: Wenn wir als Medien kritisch sein wollen, warum schaffen wir gerade kritische und vertiefende Sendungen ab oder beschneiden sie und verschieben sie in die Randsendezeiten? Warum traut man den Zusehern und Zuhörern nicht mehr zu, dass sie längere Beiträge sehen und hören wollen? Kann man in der Kürze detailreiche Ereignisse ausreichend erklären? Wieso fragen sich Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunk, was sie selbst tun müssen, damit der Bürger „das Richtige“ wählt? Woher wissen sie, was richtig ist? Sind solche Gedanken nicht antidemokratisch? Aber ich war immer noch hoffnungsvoll, dass wir als „Vierte Gewalt“ unseren Teil zur Demokratie beitragen würden.

Als dann das Jahr 2020 begann und ich unsere Medien verfolgte, bröckelte die Hoffnung, da unbeantwortete Fragen bei mir nun an der Tagesordnung waren: Was ist eine mysteriöse Lungenerkrankung? Wochenlang gab es keine Erläuterung, was genau das Mysteriöse an der Erkrankung ausmachen sollte. Und wieso war die Wortwahl in den verschiedenen Beiträgen auf unterschiedlichen Sendern oft gleichlautend? Plötzlich wurden Zahlen genannt, die in kein Verhältnis gesetzt wurden. Wir Menschen können mit abstrakten Zahlen wenig anfangen. Vergleichen wir nicht ständig, um neu entstandene Situationen einschätzen zu können? Wie hoch ist die durchschnittliche Anzahl der Verstorbenen an einem Tag in Deutschland normalerweise? Warum fragt das keiner der Journalisten, wenn sie Experten interviewen?

Das Thema Sterben wurde ja in den letzten Jahrzehnten zunehmend in vielen Teilen der Gesellschaft verdrängt. Plötzlich nun steht es im Mittelpunkt. Die Menschen werden damit konfrontiert und sind überfordert. Woher sollen sie wissen, was viel und was wenig ist, wenn es nicht eingeordnet wird? Warum zeigt und zählt man nicht auch, wie viele Menschen die Krankheit überlebt haben? Und zeigt, wie viel das in Prozent im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung ist? Das würde doch in einer außergewöhnlichen Situation Hoffnung machen. Wieso dürfen Journalisten die Anzahl der Toten von Deutschland mit der Anzahl der Toten von Indien vergleichen? Wo doch Indien wesentlich mehr Einwohner als Deutschland hat und man deswegen das Ganze nur prozentual, bezogen auf die Gesamtbevölkerungszahlen der beiden Länder, ins Verhältnis setzen darf? Natürlich hat Indien zahlenmäßig mehr Erkrankte und mehr Tote als Deutschland. Berichtet man ausschließlich über diese hohe Zahl der Toten, muss man damit rechnen, dass diese Nachricht bei den Zuschauern und Zuhörern Panik erzeugt. Wieso wird es mit Diffamierung seitens der Medien bestraft, wenn jemand die Anzahl der Toten bei Influenza mit der Anzahl der Toten bei Corona vergleicht?

Wieso werden überhaupt Menschen, die andere Beobachtungen machen, diffamiert? Wieso werden fast ausschließlich Menschen mit sehr ähnlichen Ansichten in Talkshows eingeladen? Wieso haken Moderatoren und Moderatorinnen oft nicht bei ihren Interviewpartnern nach, wieso gehen sie nicht auf das ein, was der Interviewpartner sagt? Wieso blicken sie stattdessen auf ihre Moderationskarte und stellen die nächste Frage, welche mit dem vorher Gesagten des Interviewpartners oft nichts zu tun hat? Wieso hakte niemand nach, als Frau Merkel ganz früh im Jahr 2020, zu Beginn der Krise, sagte, dass, wenn alles vorbei sein wird, nichts mehr so sein wird, wie es mal war? Warum fragt da niemand nach, wie sie darauf kommt, woher sie die Gewissheit darüber hat? Wieso es nur den Weg der Impfung gibt, und das im so frühen Stadium der Pandemie? Wieso bekommen geleakte Papiere aus den Ministerien so gut wie keine mediale Aufmerksamkeit? Wieso hakt niemand nach, wenn Herr Wieler sagt, dass diese Regeln niemals mehr hinterfragt werden dürfen? Ist es nicht genau die Aufgabe eines jeden Journalisten, alles zu hinterfragen? Immer? Jedes Ding, jedes Ereignis, jede Entscheidung von allen Seiten zu beleuchten? Und über die gewonnenen Erkenntnisse zu berichten? Über alle gewonnenen Erkenntnisse?

Tauchen bei meinen journalistischen Kollegen diese Fragen nicht auf?

Da keine der vielen Fragen, die sich mir stellten, und auch keine Antworten auf meine Fragen in den unzähligen Berichten und Talkshows auftauchten, begann ich selbst zu recherchieren. Währenddessen erwuchs die bittere Erkenntnis, dass es sehr wohl Menschen gibt, die die Ereignisse von vielen Seiten beleuchten. Jedoch schenkt man diesen Menschen kein Gehör in den öffentlich-rechtlichen Medien.

Ein paar Mal stieß ich auf folgende These: Die Aufgabe von seriösem Journalismus sei es, Daten zu sichten, einzuordnen und zu entscheiden, welche Daten und Studien richtig und welche falsch sind. Hieraus ergibt sich bei mir schon wieder eine Frage: Wie macht das der Journalist? Welche Fähigkeiten hat er erworben, dass er in Virologie, Epidemiologie, Psychologie, Wirtschaft, Statistik, Rechtswissenschaften und vielen anderen Fachgebieten so umfassend gebildet ist, um bei all diesen Themenfeldern zu entscheiden, was falsch und was richtig ist? Was ist, wenn in ein paar Jahren sich die Entscheidungen als falsch erwiesen haben?

In der Vergangenheit gab es schon viele Versprechungen seitens der Pharmaindustrie und der Politik. Es bedurfte oft einer langen Zeit, bis Fehler eingesehen wurden. Bis zur Einsicht und der Rücknahme eines Medikaments war dann schon großer Schaden entstanden.

Ist das alles vergessen?

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