Empfehlungen
Gesammelte Leseempfehlungen, die den Zustand des Journalismus und die Haltung der öffentlich-rechtlichen Medien kommentieren.
„Es ist an der Zeit, dass sich der Corona-Journalismus ehrlich macht“
Ralf Hanselle, stellvertretender Chefredakteur des Cicero, über die „Selbstabschaltung des Journalismus“ während der Coronazeit:
„Noch liegt im Dunkeln, was tatsächlich im Vorfeld der sagenumwobenen Ministerpräsidentenkonferenzen mit der Kanzlerin stattfand und welche Kommunikationsflüsse es zwischen Bundeskanzleramt und ausgewählten Medien gegeben haben mag. Nur das Resultat liegt auf dem Tisch: So kommt eine bereits im Oktober 2021 vorgelegte Medienanalyse des Mainzer Medienwissenschaftlers Marcus Maurer zu dem Schluss, dass im Untersuchungszeitraum von Anfang 2020 bis April 2021 immer wieder der Grundsatz einer vielfältigen Berichterstattung außer Kraft gesetzt worden sei und dass ‚vergleichsweise selten über die negativen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Folgen harter Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie berichtet [wurde]‘.“
Hanselle fragt sich, ob es für diese Selbstabschaltung journalistischer Standards Absprachen und Kungeleien in geschlossener Runde brauche. Oder genüge es in den meisten Fällen nicht bereits, wenn ein Journalist von publizistischem Übermut ergriffen ist, in dem er sich nicht mehr nur als neutraler Beobachter und Vermittler von Ereignissen sieht, sondern als Retter, der eine erhebliche Mitverantwortung für den weiteren Verlauf der Pandemie trägt?
„Es wird um jeden Preis vermieden, zu viel Geld für den eigentlichen Geschäftszweck auszugeben.“
Lutz Hachmeister, Medienforscher und einstiger Chef des Adolf-Grimme-Instituts, kommt zu einem vernichtenden Urteil über das öffentlich-rechtliche System im Interview mit dem Handelsblatt: „Bürokratien wollen nicht irritiert werden“. Das Ziel sei es, quotenstarke Standardformate für Fernsehen und Hörfunk beizubehalten: Im Kern gehe es um die Aufrechterhaltung von „Ruhe sanft“.
„Schlecht bezahlte Lieferanten für ein inhaltlich schlechter werdendes Programm“
In einer internen Umfrage des NDR haben Mitarbeiter ihre Bedenken über Perspektivlosigkeit, mangelnde Anerkennung und eine Mentalität des „die da oben, wir da unten“ geäußert. Insbesondere freie Mitarbeiter empfinden eine „Friss-oder-Stirb-Haltung im Sender“. 82 Prozent der Befragten gaben an, dass sie bereits darüber nachgedacht haben, den Sender zu verlassen. Dennoch unterstützt die Mehrheit die Grundidee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
„Wir müssen die große Reform wagen, jetzt“
Tom Buhrows viel beachtete Rede als „Privatmann“ im Hamburger Überseeclub zu grundlegenden Reformen des öffentlich-rechtlichen Systems: „Erstens: Wir müssen aus dem bisherigen System ausbrechen. Zweitens: Wir brauchen dafür einen Runden Tisch, der einen neuen Gesellschaftsvertrag ausarbeitet. Eine Art verfassungsgebende Versammlung für unseren neuen, gemeinnützigen Rundfunk. Drittens: Es darf an diesem Runden Tisch keine Tabus, keine Denkverbote geben. Viertens: Wenn wir uns über das Ziel einig sind, brauchen wir Zeit, um es zu erreichen. Und dann Verlässlichkeit und Sicherheit für mindestens eine Generation. Einen Generationenvertrag.“
Der auf Tom Buhrow folgende ARD-Vorsitzende und Intendant des SWR, Kai Gniffke, hat einem Runden Tisch eine Absage erteilt. Im SWR-Intranet wird er am 03.11.22 wie folgt zitiert: „Das braucht sehr viel Zeit. Um einen solchen Runden Tisch zu etablieren, müsste man die Zuständigkeit für Medienpolitik neu regeln. Das kann Jahre dauern. Diese Geduld habe ich nicht. Meine Sorge ist, dass in dieser Zeit der Reformeifer erlahmt. Wir sollten jetzt den Elan in der ARD nutzen, um gemeinsam mit unseren Aufsichtsräten mutige Reformen anzuschieben. Der künftige Medienstaatsvertrag gibt die dafür notwendigen Spielräume.“
Anmerkung Meinungsvielfalt.Jetzt: Wo ein Wille, ist auch ein Weg. Die Deutsche Akademie für Fernsehen empfiehlt ein umfangreiches Beteiligungsverfahren. Es sieht vor, in einem Medienkonvent alle relevanten Initiativen einzubinden, die seit geraumer Zeit Reformen im ÖRR einfordern. Ein losbasierter Bürgerrat ist ebenfalls Teil des Prozesses.
4,6 Millionen Euro für Pension der Intendantin
4,6 Mio € muss der MDR für die Pension seiner Intendantin Karola Wille aufbringen, das entspricht einer Rente von 19.000 € - pro Monat. Doch Wille ist bei weitem nicht die einzige mit einem exorbitanten Gehalt.
„‚Kritikloser Systemtransfer‘: Wie die Öffentlich-Rechtlichen in den Osten kamen“
„Am 3. Oktober 1990 wurden Hörfunk und Fernsehen der DDR in sogenannte Einrichtungen überführt, um am 1. Januar 1992 schließlich in das öffentlich-rechtliche System der BRD integriert zu werden. Die Politikwissenschaftlerin Sylvia Dietl studierte damals an der Universität Mannheim. Für sie ist der Tag der Deutschen Einheit bis heute ein ‚historischer Wendepunkt, ein Tag der Freude‘. In ihrem kürzlich erschienenen Buch ‚Transformation und Neustrukturierung des DDR-Rundfunks im Prozess der Wiedervereinigung Deutschlands‘ ist ihr Fazit trotzdem kritisch. Vor allem die öffentlich-rechtlichen Anstalten kommen nicht gut weg. Im Gespräch erklärt die Autorin, warum das so ist und bietet geschichtliche Hintergründe zu aktuellen Korruptionsdebatten.“
„SWR-Intendant setzt auf breiteres Meinungsspektrum in ARD-Kommentaren“
„Kai Gniffke, Chef des Südwestrundfunks, will künftig eine größere Meinungsverschiedenheit in den Kommentaren der ARD abbilden – sofern sie sich an demokratische Regeln halten. Manche Haltungen der Bevölkerung seien bisher zu wenig berücksichtigt worden.“
„Wie saniert man ARD und ZDF?“
Diskussion zwischen WDR-Intendant Tom Buhrow und der Medienmanagerin Julia Jäkel, früher Chefin von Gruner + Jahr. Folgend ein kleiner Auszug:
Jäkel: Wo ist die intellektuelle Speerspitze einer Reformbewegung? Nutzen doch Sie den Gestaltungsraum und die Energie der vielen Reformwilligen in Ihren Sendern.
ZEIT: Ein Nicken kann man in der Zeitung nicht sehen, Herr Buhrow!
Buhrow: Ich bin total d’accord und habe meine Zukunftsvision „ARD 2030“ Anfang 2021 skizziert. Unter anderem habe ich mich für eine gemeinsame Mediathek mit dem ZDF ausgesprochen, als es dafür noch heftige Ablehnung gab. Aber noch mal: Für große, weiter gehende Veränderungen brauchen wir einen gesamtgesellschaftlichen Dialog.
Anmerkung von Meinungsvielfalt.jetzt: Genau diesen Dialog fordern zahlreiche Initiativen: der Leuchtturm ARD mit wöchentlichen Mahnwachen vor den Medienhäusern, die Ständige Publikumskonferenz, die Bürgerinitiative GemeinWohlLobby, die Initiative Publikumsrat, die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der „Zehn Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien“ oder der Bürgermedienverein.
„WDR und Eckart von Hirschhausen mit tendenziöser Sendung zu Long-Covid“
„In einer von Eckart von Hirschhausen moderierten WDR-Sendung zum Thema Long-Covid fehlen medizinisch relevante Fakten. Zudem mangelt es an journalistischer Sorgfalt und einer nüchternen Berichterstattung – wie es der Pressekodex insbesondere bei medizinischen Themen vorgibt. Offene Fragen wirft insbesondere der Fall einer im Rahmen der Sendung vorgestellten kranken 13-Jährigen auf.“
Anmerkung Meinungsvielfalt.jetzt: Bastian Barucker hat zur beschriebenen Sendung eine Programmbeschwerde beim WDR eingereicht.
„Amigo-Kultur? Wie der Nachbar und Mieter der stellvertretenden NDR-Intendantin vom öffentlich-rechtlichen Sender profitiert“
Die NDR-Affäre weite sich nach Niedersachsen aus, berichtet Business Insider: „Das Landesfunkhaus in Hannover beauftragt seit Jahren die Firma Cineteam mit Produktionen für den NDR. Das Unternehmen hat 2009 das Geschäft des Ehemanns der Funkhauschefin und NDR-Vize-Intendantin, Andrea Lütke, übernommen und ist bis heute Mieter auf dem Anwesen des Ehepaars.“ Brisant dabei sei, dass Lütke vom NDR-Intendanten Joachim Knuth zur „Chefaufklärerin“ ernannt wurde, um die Vorwürfe in Kiel und Hamburg zu untersuchen.